This text was written for the Zinal Congress of the EUY in 2024
Singen und Tönen als Träger von Prana
by Susanne Bohrmann-Fortuzzi
Singen und Tönen als Träger von Prana, der Lebensenergie „Prana, die Kraft des Lebens“ – der Titel des diesjährigen Yoga-Kongresses in Zinal ist direkt auf
meine Arbeit als Yoga- und Gesangslehrerin anwendbar. Der Atem, Träger der Lebensenergie „Prana“ steht im Mittelpunkt all meines beruflichen und gedanklichen Tuns, selbst wenn ich klassischen Operngesang unterrichte.
Das Singen, gleich welcher Technik wir uns dabei bedienen, ist ein besonders ausdrucksstarker Vorgang, der ein Bindeglied zwischen Atem und Körper herstellt und energetische Schwingung unmittelbar erlebbar macht. Wir können auch mit Sprache, unsere Gefühle vermitteln. Wenn wir jedoch singen, können wir uns der damit verbundenen Emotion in der Regel nicht entziehen. Das macht Gesang so besonders. In meinem nächsten Gedankengang gehe ich sogar noch einen Schritt weiter, indem ich mich auf die Annahme aus der indischen Philosophie beziehe: „Die Welt ist Klang“ – „Nada Brahma“.
Wenn ich also davon ausgehe, dass unser Planet, Erde, aus Klang entstanden ist und sogar 1 durch Klang zusammengehalten wird, kann ich durch das Tönen und Singen diesen Klang hör- und spürbar machen. Mein Körper wird durch das Tönen schwingungsfähiger und bildet auf diese Art und Weise das Instrument, so dass mein Klang nicht nur von mir gehört und gespürt wird, sondern auch nach draußen transportiert wird und von meiner Umgebung aufgenommen wird.
Schließlich kommt es zu einem klanglichen Verbinden zwischen meinem Körper und der Erde, auf der ich meinen Gesang erklingen lasse; es kommt zu einem Geben und Nehmen, einem reziproken Austausch von Schwingungen.
Soweit die Theorie. – Wie kann ich jetzt als Mensch, der das Singen nicht gewöhnt ist, ein solches Klangerlebnis herbeiführen? – Eine solche Klangerfahrung gelingt am ehesten in der Gruppe, weil ich dort meine Stimme mit den Stimmen der anderen Teilnehmenden verbinde. Wir stellen unsere eigene Schwingungsfähigkeit allen zur Verfügung. Hinzu kommt noch ein weiterer Aspekt, nämlich die Vorbereitung unseres Körpers als schwingungsfähiges Instrument. Hier verwende ich die Übungen des Vini Yoga und anderen Bewegungsverfahren, die mit der Koordination von Atem und Bewegung arbeiten: fließende Bewegungen, bei denen der Atem die Bewegung auslöst. Die Erfahrung des Atems ist auch gleichzeitig eine energetische Erfahrung. Je mehr ich mit meinem Atem in Verbindung bin, desto deutlicher kann ich die Ausbreitung der Energie in meinem Körper spüren. Um diese Verbindung zu ermöglichen, bleiben wir immer wieder in Stille und spüren, wie unser Körper reagiert, wie der Kontakt zum Boden, also zur Erde ist und wie die Verbindung nach oben zum Himmel empfunden wird. Es ist nach einer Weile möglich, sich selbst als Bindeglied zwischen Himmel und Erde wahrzunehmen.
In diesem Sinne ist Singen auch eine meditative Erfahrung, die uns ermöglicht, unser Bewusstsein für unseren Körper, aber auch für unser Dasein auf der Erde zu entwickeln; und es ist auch möglich, uns und die Erde als Teil des Universums zu erleben, als Teil des großen Ganzen.
Stetiges Wiederholen dieser Klangerfahrung in der Gruppe kann uns diesen Bezug zur Erde und zum Universum erfahren lassen.
Da wir in Zinal bereits einen hoch energetischen Ort zur Verfügung haben, wird uns der Zugang zu dieser Erfahrung dort oben in den Schweizer Alpen leichter gelingen können.
Ebenso haben wir aufgrund der Struktur des Kongresses Zeit uns 5 Tage lang immer wieder Zeit, in die Klangerfahrung einzutauchen und ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, unsere Schwingungsfähigkeit herzustellen und Stück für Stück zu vertiefen. Das Erleben der Natur und die Begegnung mit anderen Menschen, die sich mit ähnlichen Themen beschäftigen unterstützt sich gegenseitig und zusätzlich.
Meine Überlegungen sind im Laufe der letzten 30 Jahre entstanden.
Sie resultieren auf der regelmäßigen Yoga Praxis, dem regelmäßigen Singen und Tönen und dem Unterrichten sowohl von Gesang als auch von Yoga. Neben dem Vini Yoga habe ich mich viel mit dem Jazz-Musiker und Autor, Joachim Ernst Berendt, beschäftigt, der durch seine 2 Veröffentlichungen eine Brücke zwischen Jazz-Musik und der indisch-orientalischen Musik geschlagen hat. Er ist davon überzeugt, dass Musiker wie Miles Davis oder Kurt Cobain deshalb den Jazz stark beeinflusst haben, weil sie auf modale musikalische Strukturen zurückgegriffen haben, wie sie auch sie in der indischen Musik zu finden sind. Außerdem betont Behrendt, dass viele Musiker*innen, ihre Beschäftigung mit Meditation als wesentlich für ihre musikalische Schöpferkraft halten.
Ich denke auch hier geht es um eine Wechselwirkung. Als musikalisch sensibler Mensch liegt die Affinität zu meditativen Methoden nahe. Denn ein kreativer Prozess setzt sowohl musikalisches als auch meditatives Erleben voraus.
Meine Workshops richten sich bewusst an musikaffine Menschen. Sie müssen ausdrücklich nicht selbst Musiker*innen sein, sondern sie können auch Musikhörer*innen sein. Allen gemeisam sollte sein, sich gern auf einen kreativ an sich selbst forschenden Prozess einlassen zu wollen, dessen Ende offen ist.
Susanne Bohrmann-Fortuzzi, Yogalehrerin BDY/EYU, Gesangspädagogin
Mai 2024
1 Lindner, Konrad, Radio Feature im SRF vom 31.08.2012: Klänge aus der Tiefe – Musikinstrument Erde
2 Berendt, Joachim Ernst, Nada Brahma, Die Welt ist Klang, Frankfurt am Main, Suhrkamp Verlag 2007, 1. Auflage